"Der Glaube muss in der Kultur eine Rolle spielen, damit die Welt nicht zugrunde geht."

Ludwig Mülheims

2024 Sasha Marianna Salzmann

18.11.24, 18:00

Jury lobt die Auseinandersetzung mit dem Thema Dialog in krisenhaften Zeiten – Sasha Salzmann mit Ludwig-Mülheims-Theaterpreis ausgezeichnet

Sasha Marianna Salzmann (c) Heike Steinweg / Suhrkamp Verlag

Köln. Sasha Salzmann wird mit dem Ludwig-Mülheims-Theaterpreis 2024 ausgezeichnet. 

Nach einer pandemiebedingten Pause wird am 18. November zum zehnten Mal der Ludwig-Mülheims-Theaterpreis verliehen. Der Preis, der mit 25.000 Euro dotiert ist, soll eine Begegnung zwischen gegenwärtiger Theaterlandschaft, Autoren und Religion fördern. Diesjährige*r Gewinner*in ist der*die non-binäre Theaterautor*in, Essayist*in und Dramaturg*in Sasha Marianne Salzmann. Salzmann arbeitete bereits an zahlreichen Theatern, lehrte an Universitäten und veröffentlichte drei Romane.

Die Jury des Ludwig-Mülheims-Theaterpreises, welchem international renommierte Personen der Kunst- und Theaterszene angehören, begründet ihre Wahl damit, dass Salzmann in ihren Stücken die hohe Bedeutung des empathisch zugewandten Dialogs gerade in krisenhaften Zeiten herausarbeitet. „Sasha Marianna Salzmann erzählt über gesellschaftspolitische Umbrüche und Zeitenwenden und macht darüber die Interferenzen zwischen Vergangenem und Gegenwart deutlich, die unsere Zukunft bestimmen und unmittelbaren Einfluss auf individuelle Biografien und zwischenmenschliche Beziehungen haben“, unterstreicht das achtköpfige Kuratorium seine Entscheidung.

Salzmanns aktueller Roman „Gleichzeit. Briefe zwischen Israel und Europa“ beinhaltet die Korrespondenz zwischen ihm*ihr und Autor Ofer Waldman nach dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023. Waldman schildert Eindrücke und Erlebnisse aus seinem Alltag in Israel, während Salzmann sich in unterschiedlichen Städten Mitteleuropas aufhält und dort mit Menschen über die Folgen des Anschlags diskutiert. Im vorherigen Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“, der 2022 erschien und von zahlreichen Theatern gespielt wurde, erzählt Salzmann die Biographien von zwei Frauen, die während des Zusammenbruchs der Sowjetunion die Ukraine verlassen und nach Deutschland fliehen. Ihnen gegenüber stellt Salzmann die Biographien ihrer Töchter, die in Deutschland geboren sind und nur schwer nachvollziehen können, was ihre Mütter in ihrer Kindheit erleben.

Begründung der Jury

Sasha Marianna Salzmann, Schriftsteller*in, Theatermacher*in, Essayist*in, schreibt seit über zehn Jahren international beachtete Theaterstücke wie auch Romane, die immer wieder ihren Weg auf die Bühne finden. In den Stücken und Prosatexten entwirft Salzmann große historische Bögen und verknüpft Zeitgeschichte mit individuellen und persönlichen, mal tragischen, mal schmerzhaft-komischen Geschichten.

Sasha Marianna Salzmann erzählt über gesellschaftspolitische Umbrüche und Zeitenwenden und macht darüber die Interferenzen zwischen Vergangenem und Gegenwart deutlich, die unsere Zukunft bestimmen und unmittelbaren Einfluss auf individuelle Biografien und zwischenmenschliche Beziehungen haben. Salzmann gibt immer wieder Frauen, Müttern und Töchtern, Schwestern, Großmüttern und Enkelinnen eine Stimme und spiegelt in diesen generationsübergreifenden Beziehungsgeflechten ein komplexes, diverses Gesellschaftsbild. In dem Widerspruch zwischen der Eloquenz der Figuren und einer gleichzeitigen Sprachlosigkeit, im Ausweichen, im Streit, im Vergessen wollen manifestiert sich auch ein utopischer Moment und zeigt sich, wie schwierig es auch sein mag, wie wichtig es gerade in krisenhaften Zeiten ist, zu einem empathisch zugewandten Gespräch zu finden, wie wichtig es ist, den Dialog zu führen. 

Beate Heine für das Kuratorium

Sasha Marianna Salzmannr erhält den diesjährigen Ludwig-Mülheims-Theaterpreis.

Kurzbiographie Sasha Marianna Salzmann

Sasha Marianna Salzmann ist eine nichtbinäre Dramatiker*in, Essayist*in, Kurator*in und Romanautor*in. 

2002 gründete Salzmann, zusammen mit Deniz Utlu, das Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext, bei dem Salzmann bis 2013 Mitherausgeber*in und Redakteur*in war. Ab 2005 studierte Salzmann Literatur, Theater und Medien an der Universität Hildesheim und ab 2008 Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. Zusammen mit dem Musiktheater-Kollektiv forteblau entwickelte Salzmann Projekte für Gehörlose, Schwerhörende und Hörende.

Während des Studiums in Berlin gewann Salzmann für das erste abendfüllende Theaterstück Weißbrotmusik 2009 den Exil-DramatikerInnenpreis der Wiener Wortstaetten und den IKARUS 2012 als bestes Jugendstück. 2012 wurde das Stück Muttermale Fenster Blau mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker ausgezeichnet.

Salzmanns Abschlussstück an der Universität der Künste Muttersprache Mameloschn wurde 2013 als bestes neues Stück des Jahres mit dem Mülheimer Publikumspreis geehrt und war für das beste Drama des Jahres in der Theater heute nominiert. Salzmanns Theaterarbeiten sind in über 20 Sprachen übersetzt und wurden 2020 mit dem Kunstpreis für Darstellende Kunst der Akademie der Künste Berlin ausgezeichnet.

Nach dem Abschluss des Studiums des Szenischen Schreibens gründete Salzmann zusammen mit Maxi Obexer das Neue Institut für Dramatisches Schreiben.

Von 2013 bis 2016 war Salzmann Hausautorin des Maxim-Gorki-Theaters Berlin. Als Kopf der freien Künstlergruppe Conflict Zone Arts Asylum leitete Salzmann dort die Studiobühne, das Studio Я. 

Zusammen mit Max Czollek initiierte Salzmann 2016 den Desintegrationskongress und 2017 die Radikalen Jüdischen Kulturtage 2018, zwei soziale Plastiken, in denen sich internationale Künstlerinnen und Künstler mit Fragen zeitgenössischer jüdischer Identität beschäftigten. 

2017 erschien im Suhrkamp Verlag das Debüt Außer sich. Der Roman erhielt zahlreiche, auch internationale, Ehrungen, und ist in 16 Sprachen übersetzt. 2021 erschien Salzmanns zweiter Roman Im Menschen muss alles herrlich sein, der ebenfalls für den Deutschen Buchpreis nominiert war und mit dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Hermann-Hesse-Literaturpreis geehrt wurde. 2023 stand Salzmanns Essay Der große Hunger und das lange Schweigen, über die ukrainische Geschichte und Gegenwart, auf der Shortlist für den WORTMELDUNGEN-Literaturpreis.

Seit 2023 ist Sasha Salzmann Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. 

2024 erschien, ebenfalls bei Suhrkamp, der Band Gleichzeit, eine Korrespondenz zwischen Ofer Waldman und Sasha Marianna Salzmann, zu der Welt nach dem 7. Oktober 2023.

2024 ist Sasha Salzmann Preisträger:in des renommierten Kleist-Preises.